Man kann Musik der heutigen Zeit als modern, avantgardistisch oder neu bezeichnen – für das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig, FZML, sind die jeweiligen Benennungen kein Problem, denn es vereint diese Strömungen unter dem Begriff zeitgenössische Musik. Dabei geht es dem Verein um Werke und Projekte, die sich in einem Zeitrahmen des 20. und 21. Jahrhunderts bewegen und damit aus Sicht musikalischer Geschichtsschreibung zu verstehen sind.
Ein Mammut-Projekt
Die Aktivitäten des FZML haben sich seit der Gründung im November 1990 nicht nur verändert, sondern auch erweitert und internationalisiert. Was anfangs noch der Förderung von zeitgenössischer Musik in Leipzig und Region diente, hat heute einen anderen Stellenwert und strahlt weltweit aus. Das ursprüngliche Ziel der Vereinsarbeit war, zeitgenössische Musik zu verbreiten und den Dialog über Musik und Kunst zu unterstützen. Aus dem damaligen lokal-regional ausgerichteten Konzept wurden eine von Leipzig aus organisierte einjährige internationale Großveranstaltung und ein Mammut-Projekt: das Festival ‚CAGE100’. Die Uraufführung fand am 17. Oktober 2013 im New Yorker Miller Theatre unter der Leitung von Richard Carrick und mit dem Ensemble ‚Either/Or’ statt. Weitere Projektaufführungen gingen während eines Jahres um die Welt, in über dreißig Länder und auf vier Kontinente.
FZML suchte dabei neue Ansätze und realisierte eine Idee des US-amerikanischen Komponisten und Künstlers John Cage. Er hatte bereits in den 1940er-Jahren während einer Party das Konzept für eine Gemeinschafts-Komposition entworfen. Entsprechend hieß das Projekt des FZML ‚Party Pieces’. 125 der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten und Komponistinnen beteiligten sich an dessen Entstehung. Die Teilnehmenden kamen während des Projektzeitraums nicht nur aus Deutschland und den USA, sondern auch aus Japan, Russland, Polen, Frankreich und Kanada. Sie arbeiteten entweder in Deutschland oder den USA an dieser Gemeinschafts-Komposition.
Arbeit in fünf Takten oder einer Minute
Das FZML stellte vier Dramaturgen, die ein Konzept für die 125 Komponistinnen und Komponisten ausarbeiteten. Da John Cage sich seinerzeit mit Zufallsverfahren beschäftigte, wurde die Reihenfolge, in welcher die Teilnehmenden ihre kompositorische Arbeit aufnahmen, über das chinesische I-Ging-Münzorakel festgelegt. Den Komponisten und Komponistinnen wurde jeweils eine Sequenz von fünf Takten oder einer Minute in Auftrag gegeben, und sie hatten den letzten Takt nach vier Tagen Arbeit an den nächsten oder die nächste zu übergeben. Strukturell ging es bei dieser kollektiven Leistung auch darum, neben der ästhetischen auch eine kulturelle Multi-Perspektivität zu eröffnen.
Die europäische Erstaufführung war am 20. Januar 2016 in Leipzig, und das ‚ensemble work in progress’ spielte unter Leitung von Gerhard Müller-Goldboom. Das Werk wird heute noch als die größte Gemeinschaftskomposition der abendländischen Musikgeschichte bezeichnet.